Von Jennie Weyman – aus dem Englischen übersetzt von Rolf Herter
ÜBER VERLUST, GEMEINSCHAFT UND DURCHATMEN
Was war das für eine Woche. Ich weiss, viele von euch fühlen sich genauso mental und emotional ausgelaugt wie ich.
Ich war persönlich in die Absagen von 17 Konzerten in nur drei Tagen involviert: zwei von Chören, mit denen ich auftrete, und die restlichen 15 von Laienchören, die ich vermittle. Mindestens sechs Absagen werden folgen, je nachdem, wie sich die Situation entwickelt, wahrscheinlich mehr.
Meine Organisation, der «Friday Morning Music Club» (FMMC), ist vielleicht in einer glücklichen Lage, da wir für die über 80 Konzerte, die wir jedes Jahr veranstalten, keinen Eintritt verlangen. An vielen Tagen wünsche ich, dass wir es täten, vor allem, wenn ich unser Budget durchforste, und ich überlege mir, wie viel wir durch Eintrittspreise einnehmen könnten. Aber schlussendlich ist es ein grosser Teil unserer Aufgabe, dass Musik und Auftritte, für Zuhörerende und Auftretende gleichermassen, gratis sein sollten.
Das heisst allerdings, dass ich mir nie ein Szenario vorstellen konnte, in der keine Eintrittspreise zu verlangen dem FMMC letztendlich die Flexibilität schenkt, dass zu tun, was in Wahrheit das Beste für unsere Mitglieder und Gönner ist, ohne irgendeinen Gedanken an Finanzen und Budget zu verschwenden.
Die Realität der Entwicklung rundum COVID-19 ist, dass grosse Menschenansammlungen eine raschere Verbreitung des Virus verursachen werden. Es ist keine Frage, dass, es ist eine Frage, wie schnell. Während sich der Nebel diese Woche nun ein wenig lichtet, wird klar, dass keine Kunstorganisation in Washington D.C. vor dem 1. April irgendein Konzert veranstalten wird, und jedes Datum danach ist letztlich eine Unbekannte und bleibt auf dem Tablett.
Ich schreibe hier nicht, um die Wissenschaft hinter dem Social Distancing und dem «Verflachen der Kurve» zu beurteilen, oder euch zu erzählen, was mit eurem Chor passiert, wenn ihr mit euren Konzertvorbereitungen fortfahrt. Zu diesem Thema sind gefühlte hunderte Artikel geschrieben worden, wie dieser, dieser, dieser und dieser[1]. Ich empfehle sie zu lesen, wenn ihr das nicht schon getan habt.
Ich schreibe hier, um die Trauer zu erörtern, die zu benennen viele von uns bis jetzt keine Chance hatten. Vielleicht haben einige von euch oder euren Chorsängern sie noch nicht einmal bemerkt, weil sie unter dem Durcheinander und der wachsenden Angst, die diese Absagen und Änderungen gebracht haben, begraben wurde. Aber ich kann sie fühlen, und ich weiss, wenn Tage zu Wochen (Gott möge verhüten, zu Monaten) wird sie immer mächtiger werden.
Die von uns, die in der Administration von Chorarbeit tätig sind, (oder jede andere Art von Kunstadministration) stehen einer einzigartigen Situation gegenüber, weil wir nicht nur Verwalter, sondern auch Künstler sind, und wir müssen mit dieser Situation aus der Sicht unserer Arbeit und auch aus der Sicht unseres Musizierens umgehen. Ja, schliesslich sind der Stress und die Frustration, die diese Absagen umgeben, mit unserer Existenzgrundlage und den finanziellen Opfern, die wir der Gesundheit aller bringen, verbunden. Aber das Herzstück von dem, was wir tun, ist, zusammen Musik zu machen. Ich weiss sicher, dass ich nicht die einzige Kunstmanagerin bin, die aktiv in einem Chor singt oder in einem Orchester oder in einer Band spielt. Ich mache das, was ich beruflich mache, weil Chormusik mir Freude macht. Ich verbringe meine Tage damit, mich für sie und für andere Genres der Klassischen Musik einzusetzen, während ich meine Abende damit verbringe, in vielen Ensembles zu singen und eine grosse Bandbreite an Projekten zu erarbeiten.
Weil wir nun von allen Seiten gesagt bekommen, wir müssten mit unserer Arbeit innehalten und uns von einander distanzieren, blicken wir einer unbequemen Realität ins Auge: Genau die Sache, die man uns zu unterlassen auffordert, ist auch genau die Sache, die wir in diesen unsicheren Zeiten so verzweifelt bräuchten. Die Entstehung von Gemeinschaft hat mich immer fasziniert, aber das Verlangen, zusammenzukommen und zusammen Musik zu machen wird eher vergrössert, wenn die Zeiten aufgeregt und die Sorgen gross sind. Was diese Umstände besonders schwierig macht, ist, dass wir nicht zusammenkommen können, um einen musikalischen Balsam für unsere Wunden zu liefern. Eben der Balsam, der viele von uns trösten und heilen könnte, ist eben der, der andere Menschen verwunden – oder sogar töten – könnte.
Ja, wir betrauern den Ausfall unserer Konzerte, betrauern die Arbeit, die hineingesteckt wurde, und die finanzielle Stabilität, die wir unbedingt brauchen, aber wir betrauern auch den zeitweiligen Verlust unserer Kunstformen und unseres persönlichen Trostes. Auch wenn euch selbst diese Trauer noch nicht deutlich bewusst ist, es ist klar, dass eure Sänger(innen) sie fühlen – oder in der nahen Zukunft fühlen werden. Und wie bei jeder Trauer und jedem Verlust ist es wichtig, sie anzuerkennen und zu herauszufinden, was sie bedeutet.
Ich werde das Musizieren mit Freunden und Kollegen schmerzlich vermissen. Ich beklage den zeitweiligen Verlust meiner Gemeinschaft, und ich habe Angst vor dem, was die Zukunft für uns alle bereithält. Und weiss wirklich nicht, wie ich mit dieser Unsicherheit ohne Musik umgehen soll, weil ich das bisher nie tun musste.
Geht in den nächsten Tagen mit euren Sänger(innen) und dem Publikum in einer transparenten Weise um. Entschuldigt euch nicht und gebt ihnen keine falschen Versprechungen, aber gebt ihnen auch nicht einfach Schweigen. Mit Social Distancing kommt Einsamkeit, das ist unvermeidbar, wenn alle zusammenkommen und Musik machen möchten, und es nicht können.
Macht euch die Technologie zu Nutzen. Zoom für einzelne Proben zu benutzen ist sicher nicht so hochwertig wie normale Proben, aber es erinnert eure Chormitglieder daran, dass sie nicht allein sind und das Chaos ein Ende haben wird. Es schenkt ihnen einen Weg, Musik zu machen, wenn auch nicht auf traditionellem Wege.
Erinnert eure Mitglieder daran, dass eure musikalische Gruppe zunächst und vor allem eine Community ist, wenn auch kein «Community Chorus» in der Standarddefinition.
Erinnert sie daran, dass sie um Hilfe bitten können, musikalische oder nicht-musikalische.
Erinnert sie daran, dass auch in Zeiten der Isolation zum Vorteil aller niemand allein sein muss.
Erinnert sie daran, dass Musik auf uns wartet, wenn wir zurückkommen.
JENNIE WEYMANN
arbeitet seit Jahren in und mit Chören und hat in zahlreichen Gruppierungen mitgewirkt. Zurzeit ist sie Geschäftsführerin des Friday Morning Music Clubs in Washingtonn, D.C.) und singt in ihrer Freizeit im Capitol Hill Corale und bei den Washington Revels.
Von Jennie Weyman – aus dem Englischen übersetzt von Rolf Herter
ÜBER VERLUST, GEMEINSCHAFT UND DURCHATMEN
Was war das für eine Woche. Ich weiss, viele von euch fühlen sich genauso mental und emotional ausgelaugt wie ich.
Ich war persönlich in die Absagen von 17 Konzerten in nur drei Tagen involviert: zwei von Chören, mit denen ich auftrete, und die restlichen 15 von Laienchören, die ich vermittle. Mindestens sechs Absagen werden folgen, je nachdem, wie sich die Situation entwickelt, wahrscheinlich mehr.
Meine Organisation, der «Friday Morning Music Club» (FMMC), ist vielleicht in einer glücklichen Lage, da wir für die über 80 Konzerte, die wir jedes Jahr veranstalten, keinen Eintritt verlangen. An vielen Tagen wünsche ich, dass wir es täten, vor allem, wenn ich unser Budget durchforste, und ich überlege mir, wie viel wir durch Eintrittspreise einnehmen könnten. Aber schlussendlich ist es ein grosser Teil unserer Aufgabe, dass Musik und Auftritte, für Zuhörerende und Auftretende gleichermassen, gratis sein sollten.
Das heisst allerdings, dass ich mir nie ein Szenario vorstellen konnte, in der keine Eintrittspreise zu verlangen dem FMMC letztendlich die Flexibilität schenkt, dass zu tun, was in Wahrheit das Beste für unsere Mitglieder und Gönner ist, ohne irgendeinen Gedanken an Finanzen und Budget zu verschwenden.
Die Realität der Entwicklung rundum COVID-19 ist, dass grosse Menschenansammlungen eine raschere Verbreitung des Virus verursachen werden. Es ist keine Frage, dass, es ist eine Frage, wie schnell. Während sich der Nebel diese Woche nun ein wenig lichtet, wird klar, dass keine Kunstorganisation in Washington D.C. vor dem 1. April irgendein Konzert veranstalten wird, und jedes Datum danach ist letztlich eine Unbekannte und bleibt auf dem Tablett.
Ich schreibe hier nicht, um die Wissenschaft hinter dem Social Distancing und dem «Verflachen der Kurve» zu beurteilen, oder euch zu erzählen, was mit eurem Chor passiert, wenn ihr mit euren Konzertvorbereitungen fortfahrt. Zu diesem Thema sind gefühlte hunderte Artikel geschrieben worden, wie dieser, dieser, dieser und dieser[1]. Ich empfehle sie zu lesen, wenn ihr das nicht schon getan habt.
Ich schreibe hier, um die Trauer zu erörtern, die zu benennen viele von uns bis jetzt keine Chance hatten. Vielleicht haben einige von euch oder euren Chorsängern sie noch nicht einmal bemerkt, weil sie unter dem Durcheinander und der wachsenden Angst, die diese Absagen und Änderungen gebracht haben, begraben wurde. Aber ich kann sie fühlen, und ich weiss, wenn Tage zu Wochen (Gott möge verhüten, zu Monaten) wird sie immer mächtiger werden.
Die von uns, die in der Administration von Chorarbeit tätig sind, (oder jede andere Art von Kunstadministration) stehen einer einzigartigen Situation gegenüber, weil wir nicht nur Verwalter, sondern auch Künstler sind, und wir müssen mit dieser Situation aus der Sicht unserer Arbeit und auch aus der Sicht unseres Musizierens umgehen. Ja, schliesslich sind der Stress und die Frustration, die diese Absagen umgeben, mit unserer Existenzgrundlage und den finanziellen Opfern, die wir der Gesundheit aller bringen, verbunden. Aber das Herzstück von dem, was wir tun, ist, zusammen Musik zu machen. Ich weiss sicher, dass ich nicht die einzige Kunstmanagerin bin, die aktiv in einem Chor singt oder in einem Orchester oder in einer Band spielt. Ich mache das, was ich beruflich mache, weil Chormusik mir Freude macht. Ich verbringe meine Tage damit, mich für sie und für andere Genres der Klassischen Musik einzusetzen, während ich meine Abende damit verbringe, in vielen Ensembles zu singen und eine grosse Bandbreite an Projekten zu erarbeiten.
Weil wir nun von allen Seiten gesagt bekommen, wir müssten mit unserer Arbeit innehalten und uns von einander distanzieren, blicken wir einer unbequemen Realität ins Auge: Genau die Sache, die man uns zu unterlassen auffordert, ist auch genau die Sache, die wir in diesen unsicheren Zeiten so verzweifelt bräuchten. Die Entstehung von Gemeinschaft hat mich immer fasziniert, aber das Verlangen, zusammenzukommen und zusammen Musik zu machen wird eher vergrössert, wenn die Zeiten aufgeregt und die Sorgen gross sind. Was diese Umstände besonders schwierig macht, ist, dass wir nicht zusammenkommen können, um einen musikalischen Balsam für unsere Wunden zu liefern. Eben der Balsam, der viele von uns trösten und heilen könnte, ist eben der, der andere Menschen verwunden – oder sogar töten – könnte.
Ja, wir betrauern den Ausfall unserer Konzerte, betrauern die Arbeit, die hineingesteckt wurde, und die finanzielle Stabilität, die wir unbedingt brauchen, aber wir betrauern auch den zeitweiligen Verlust unserer Kunstformen und unseres persönlichen Trostes. Auch wenn euch selbst diese Trauer noch nicht deutlich bewusst ist, es ist klar, dass eure Sänger(innen) sie fühlen – oder in der nahen Zukunft fühlen werden. Und wie bei jeder Trauer und jedem Verlust ist es wichtig, sie anzuerkennen und zu herauszufinden, was sie bedeutet.
Ich werde das Musizieren mit Freunden und Kollegen schmerzlich vermissen. Ich beklage den zeitweiligen Verlust meiner Gemeinschaft, und ich habe Angst vor dem, was die Zukunft für uns alle bereithält. Und weiss wirklich nicht, wie ich mit dieser Unsicherheit ohne Musik umgehen soll, weil ich das bisher nie tun musste.
Geht in den nächsten Tagen mit euren Sänger(innen) und dem Publikum in einer transparenten Weise um. Entschuldigt euch nicht und gebt ihnen keine falschen Versprechungen, aber gebt ihnen auch nicht einfach Schweigen. Mit Social Distancing kommt Einsamkeit, das ist unvermeidbar, wenn alle zusammenkommen und Musik machen möchten, und es nicht können.
Macht euch die Technologie zu Nutzen. Zoom für einzelne Proben zu benutzen ist sicher nicht so hochwertig wie normale Proben, aber es erinnert eure Chormitglieder daran, dass sie nicht allein sind und das Chaos ein Ende haben wird. Es schenkt ihnen einen Weg, Musik zu machen, wenn auch nicht auf traditionellem Wege.
Erinnert eure Mitglieder daran, dass eure musikalische Gruppe zunächst und vor allem eine Community ist, wenn auch kein «Community Chorus» in der Standarddefinition.
Erinnert sie daran, dass sie um Hilfe bitten können, musikalische oder nicht-musikalische.
Erinnert sie daran, dass auch in Zeiten der Isolation zum Vorteil aller niemand allein sein muss.
Erinnert sie daran, dass Musik auf uns wartet, wenn wir zurückkommen.
JENNIE WEYMANN
arbeitet seit Jahren in und mit Chören und hat in zahlreichen Gruppierungen mitgewirkt. Zurzeit ist sie Geschäftsführerin des Friday Morning Music Clubs in Washingtonn, D.C.) und singt in ihrer Freizeit im Capitol Hill Corale und bei den Washington Revels.
[1] Hier sind im Original Links gesetzt.
Kommentar (1)
Toller Text. Bringt viele Probleme genau auf den Punkt!